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Die Krebsmedizin hat sich in den vergangen 20 Jahren rasant weiterentwickelt. Während lange Zeit nur die Wahl zwischen Operation oder Strahlentherapie sowie systemischer Chemotherapie bestand, rückte zunehmend das Bewusstsein in den Vordergrund, dass jede:r Patient:in einzigartig ist und jeder Krebs durch eine Vielzahl spezifischer, in ihrem Zusammenspiel komplexer Faktoren bestimmt wird. Auf Grundlage dessen macht es sich die Präzisionsmedizin zum Ziel, Patientengruppen mit spezifischen Biomarkern zu identifizieren, welche besonders von einer zielgerichteten Therapie profitieren könnten.1,2
Der Begriff Präzisionsmedizin kann sich auf verschiedene Ansätze beziehen: zielgerichtete Therapie, Immuntherapie oder Genomics. Allen diesen Konzepten ist jedoch das Ziel gemein, die medizinische Versorgung auf molekulare und ggf. auch Umwelt- und Lifestyle-Faktoren bestimmter Patientengruppen auszurichten. Mit der Absicht, Erfolgsraten moderner Therapien gegenüber vorhandenen Behandlungsoptionen im Sinne einer besseren Wirksamkeit bei weniger Nebenwirkungen zu optimieren, sollen Therapien individuell auf den/die einzelne:n Patienten:in und seine/ihre Krankheit zugeschnitten werden.2,3
Die Biomarker-gestützte Therapie ist eine wesentliche Teildisziplin der Präzisionsmedizin und bildet auch in der Janssen-Forschung eine wichtige Säule. Biomarker können u.a. DNA-, mRNA- oder Protein-basiert sein:4,5
Treibermutationen:
Vorhandensein spezifischer, für das maligne Wachstum von Tumorzellen verantwortlicher DNA-Veränderungen
Proteinexpression:
Vorhandensein spezifischer Proteine auf/in Zellen oder in extrazellulären Flüssigkeiten
mRNA-Expression:
Vorhandensein spezifischer mRNA in Zellen oder extrazellulären Flüssigkeiten
Mikrosatelliteninstabilität (MSI):
Längenveränderungen innerhalb kurzer, repetitiver DNA-Sequenzen als Folge defekter DNA-Reparaturmechanismen
Tumor Mutational Burden (TMB):
Mutationslast von Tumoren → Gesamtzahl der somatischen und kodierenden Mutationen pro Megabase (Mb) des untersuchten Genoms
Epigenetische Biomarker:
z.B. spezifische Methylierungsmuster zellulärer oder zellfreier DNA
Verschiedene molekulare Alterationen können bei unterschiedlichen Entitäten auftreten.23 Auf Grundlage dieses Umstands werden derzeit zunehmend tumoragnostische oder auch tumorübergreifende Therapieansätze untersucht: Zahlreiche sogenannte Basket-Studien laufen, in denen der Studieneinschluss auf dem Nachweis einer molekularen Veränderung (z.B. die Gene FGFR- oder RET betreffend) und nicht auf der Histologie des Tumors bzw. dessen Lokalisation basiert.23 Da − wie bereits erwähnt − die Wirksamkeit einer Biomarker-gestützten Therapie jedoch in verschiedenen Indikationen aufgrund der unterschiedlichen Relevanz der bestimmten Alterationen als Krebs-Treiber stark variieren kann, muss ein indikationsübergreifend gutes Ansprechen gewährleistet sein.
2017 und 2018 wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Präzisionsmedizin in den USA zwei tumoragnostische Krebs-Medikamente für solide Tumoren mit einer hohen Mikrosatelliten-Instabilität oder Defekten in der Mismatch-Reparatur bzw. mit NTRK-Genfusionen zugelassen.23
Auch wenn im Bereich der Präzisionsmedizin bzw. Biomarker-gestützten Therapie die Fortschritte in den letzten Jahren enorm waren und es sich um einen zukunftsträchtigen Ansatz handelt, besteht doch weiterhin Forschungsbedarf. So stellt sich momentan nur bei etwa 5-10% aller Tumorpatient:innen ein deutlicher klinischer Vorteil unter der Behandlung mit einer Biomarker-gestützten Therapie ein:1,8
Da Krebs durch eine Reihe spezifischer, in ihrem Zusammenspiel komplexer Faktoren bestimmt wird, bedeutet das Vorhandensein eines bestimmten Biomarkers nicht automatisch, dass eine zielgerichtete Therapie auch auf jeden Fall wirkt.
Molekulardiagnostik und Biomarker-gestützte Therapien werden in Deutschland noch nicht flächendeckend eingesetzt, auch wenn sie für einige Indikationen, wie das Mamma- oder Lungenkarzinom, von Fachgesellschaften und in Leitlinien empfohlen werden.8,9,25 Derzeit bestehende regionale Unterschiede in der Verfügbarkeit von molekularen Tumorboards und Sprechstunden für personalisierte Medizin sowie Unterschiede in der Analysequalität verschiedener Labore und der Kostenerstattung müssen adressiert werden, damit sich Molekulardiagnostik und Biomarker-gestützte Therapien zukünftig weiter etablieren können. Ein kontinuierlicher Auf- bzw. Ausbau von Netzwerken und Infrastrukturen, u.a. mit dem Ziel der Zertifizierung/Akkreditierung von Laboren, wird nötig sein, um eine umfassende Verfügbarkeit mit standardisierter Qualität zu ermöglichen.8,27
Weiterhin muss mit zunehmendem Bedarf an molekularer Diagnostik auch die Rolle privater Anbieter definiert werden, welche in Deutschland z.T. schon molekulare Tests anbieten: Beispielsweise sollten Patient:innen eine molekulare Diagnose nicht unkommentiert erhalten, sondern − eingebettet in ein klinisches Setting − umfassend über die Bedeutung der Resultate aufgeklärt werden. Des Weiteren muss die Datensicherheit gewährleistet sein.8,28
Ärzte und Patient:innen werden bei der wachsenden Menge an neuartigen Medikamenten und dazugehörigen Companion Diagnostics zudem künftig den Überblick behalten müssen: Bei der Aufarbeitung und Einordnung wissenschaftlicher Informationen werden u.a. die Fachgesellschaften einen wichtigen Stellenwert einnehmen.
Hinsichtlich Companion Diagnostics sollte außerdem die Verordnung für In-vitro-Diagnostika (In Vitro Diagnostics Regulation; IVDR) erwähnt werden, welche im Mai 2017 offiziell in Kraft getreten und ab Mai 2022 verpflichtend anzuwenden ist.29,30 Im Rahmen dieser Verordnung müssen In-vitro-Diagnostika, wenn sie nach dem Mai 2022 weiterhin verfügbar sein sollen, zunächst einen Zertifizierungsprozess durchlaufen, der u.a. die Beurteilung durch sogenannte “Benannte Stellen” (engl.: notified bodies; NBs) beinhaltet. Bei mehr als 30.000 neu zu bewertenden Tests und fünf registrierten NBs (Stand: Juli 2021) scheinen zeitliche Verzögerungen und die eingeschränkte Verfügbarkeit bestimmter In-vitro-Diagnostika vorprogrammiert.31,32 Eine weitere Herausforderung stellt die Vorgabe dar, dass für die Molekulardiagnostik ein kommerzieller Test zu verwenden ist, wenn ein solcher existiert. Da dies jedoch auf Seite der Labore mit einer deutlichen finanziellen Mehrbelastung einhergehen kann, ist eine Gefährdung der regionalen molekulardiagnostischen Versorgung denkbar.30
Die Präzisionsmedizin macht es sich zum Ziel, Therapien auf Basis molekularer Faktoren optimal auf spezifische Patientengruppen zuzuschneiden und so die Erfolgsraten onkologischer Behandlungsansätze zu verbessern.1,3 In den vergangenen 20 Jahren hat es dramatische Fortschritte auf dem Gebiet der Biomarker-gestützten Therapie und somit auch der Präzisionsmedizin gegeben und auch in den kommenden Jahren wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Die sich für Patient:innen ergebenden Chancen werden zwar begleitet von Herausforderungen für Wissenschaft, Gesundheitspolitik und behandelnde Ärzt:innen − durch eine enge Kooperation aller Parteien sind diese jedoch überwindbar.
Zuletzt geändert am: 27.07.2021
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Dieser Text wurde von Dr. Ralf Angermund, Mitarbeiter bei Janssen Deutschland und Mitglied des Janssen Expertenbeirats, geprüft. Lernen Sie unseren Expertenbeirat kennen.