Das Urothelkarzinom, auch Harnblasenkarzinom oder Blasenkarzinom genannt, ist in Deutschland bei Männern die viert-, bei Frauen die zwölfthäufigste Tumorerkrankung. Histologisch handelt es sich überwiegend um Urothelkarzinome (UC), die je nach Ausbreitung unterteilt werden: nicht-muskelinvasives Blasenkarzinom (NMIBC), muskelinvasives Blasenkarzinom (MIBC) und metastasiertes Urothelkarzinom (mUC).1
Die Behandlung des Urothelkarzinoms hängt von der Histologie, dem Stadium und den Risikofaktoren ab. Das NMIBC weißt im allgemeinen eine geringe krankheitsspezifische Mortalität auf. Neben minimalinvasiven Verfahren steht eine enge Nachsorge zur frühen Erkennung von Rezidiven im Vordergrund. Beim MIBC kommen interdisziplinäre Behandlungskonzepte zum Einsatz.2 Beim fortgeschrittenen inoperablen oder metastasierten Urothelkarzinom kommen vorwiegend medikamentöse Therapieoptionen zum Einsatz, jedoch besteht weiterhin ein hoher ungedeckter therapeutischer Bedarf.3
Ca. 25 % der Patient:innen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Blasenkrebs kommen für die derzeitigen Therapieoptionen aufgrund mangelnder Fitness nicht in Frage, in der Zweitlinie bleiben sogar ca. 66 % der Patient:innen ohne Behandlungsoption4. So definiert auch die EAU-Leitlinie bisher keine etablierte Standardtherapie für mUC Patient:innen, die keine platinhaltige Chemotherapie erhalten können.5
In Deutschland ist der Blasenkrebs bei Männern die viert-, bei Frauen die zwölfthäufigste Tumorerkrankung. Frauen erkranken seltener am Harnblasenkarzinom, haben aber eine höhere Mortalität. Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören aktives und passives Rauchen sowie chemische Substanzen, wie aromatische Amine.1
Die Erkrankung wird unterteilt in das nicht-muskelinvasive Blasenkarzinom, das muskelinvasive Blasenkarzinom und das metastasierte Karzinom. Histologisch werden die meisten Karzinome der Harnblase als Urothelkarzinome (90 %) klassifiziert.6 Unter den nicht-urothelialen Karzinomen sind die Plattenepithel- und Adenokarzinome am häufigsten vertreten, sehr selten sind Sarkome, Lymphome und Melanome.2
Die Prognose des Harnblasenkarzinoms wird insbesondere durch die Lokalisation des Tumors, das Stadium, das Grading, die Ausbreitung, ein begleitendes Carcinoma in situ, Patient:innencharakteristika (Alter, Geschlecht, Fitness) und Komorbiditäten (z.B. eingeschränkte Nierenfunktion) sowie molekulare Marker bestimmt.6
Das Harnblasenkarzinom geht meist von der Schleimhaut der Harnblase (Urothel) aus. Das Urothel kleidet den gesamten Bereich der ableitenden Harnwege ausgehend von der Niere aus. Mehr als 90 % der Blasentumoren sind Urothelkarzinome, sie entstehen häufig an mehreren Stellen gleichzeitig.
Zu den ableitenden Harnwegen gehören das Nierenbecken, die Harnleiter (Ureteren), die Blase (Vesica urinaria) und die Harnröhre (Urethra). Nieren inklusive Nierenbecken und Harnleiter werden dem oberen Harntrakt zugeordnet. Davon unterschieden wird der untere Harntrakt mit Harnblase und Harnröhre.10
Urinsediment und -zytologie
Die Sensitivität ist abhängig vom Differenzierungsgrad der Tumoren. Bei G1-Tumoren ist die Sensitivität gering.
Sonografie der Blase und ableitenden Harnwegen
Durch eine Ultraschalluntersuchung können Harnstauungen oder Harnsteine ausgeschlossen werden.
Weißlicht- oder ggf. fluoreszenzbasierte Zystoskopie
Die floureszenzunterstützte Diagnostik wird bei multifokalen oder bei high-grade Tumoren in der Anamnese oder bei positiver Urinzytologie eingesetzt.
Endoskopie mit TUR (transurethrale Resektion) zur Histologiegewinnung
Bei zystoskopischem Verdacht soll ein histologischer Nachweis erfolgen.2
Die Definition von Tumortyp, Tumorgrading und Tumorstaging soll nach WHO- und UICC-Klassifikation formuliert werden.6
Die Stadieneinteilung erfolgt nach den UICC-TNM-Kriterien.6
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
---|---|
UICC-TNM KlassifikationTX | TumorPrimärtumor kann nicht bewertet werden |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM KlassifikationT2a T2b | TumorTumor dringt in oberflächliche Muskularis propria ein (innere Hälfte) Tumor dringt tief in Muskularis propria ein (äußere Hälfte) |
UICC-TNM KlassifikationT3a T3b | Tumormikroskopisch makroskopisch (extravesikale Masse) |
UICC-TNM KlassifikationT4a T4b | TumorTumor dringt ein in Prostatastroma, Samenbläschen, Uterus oder Vagina Tumor dringt ein in Beckenwand oder Abdominalwand |
UICC-TNM KlassifikationNx | TumorRegionäre Lymphknoten können nicht bewertet werden |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
UICC-TNM Klassifikation | Tumor |
Tabelle 1: UICC-TNM Klassifikation der Urothelkarzinome, mod. nach6
Stadien-Einteilung | |||
---|---|---|---|
Stadium 0a | Stadien-Einteilung | N0 | M0 |
Stadium 0is | Stadien-Einteilung | N0 | M0 |
Stadium I | Stadien-Einteilung | N0 | M0 |
Stadium II | Stadien-Einteilung | N0 | M0 |
Stadium IIIA | Stadien-Einteilung | N0 | M0 |
Stadien-Einteilung | N1 | M0 | |
Stadium IIIB | Stadien-Einteilung | N2, N3 | M0 |
Stadium IVA | Stadien-Einteilungjedes T | jedes N jedes N | M0 M1a |
Stadium IVB | Stadien-Einteilung | jedes N | M1b |
Tabelle 2: Stadieneinteilung der Urothelkarzinome, mod. nach6
Aspekt | Rezidiv-Score | Progressions-Score |
---|---|---|
Aspekt1 2-7 >7 | Rezidiv-Score3 3 | Progressions-Score3 6 |
Aspekt≤ 3 cm ≥ 3 cm | Rezidiv-Score0 3 | Progressions-Score0 3 |
AspektPrimärer Tumor ≤ 1 Rezidiv/Jahr < 1 Rezidiv/Jahr | Rezidiv-Score0 2 4 | Progressions-Score0 2 2 |
AspektTa T1 | Rezidiv-Score0 1 | Progressions-Score0 4 |
AspektNein Ja | Rezidiv-Score0 1 | Progressions-Score0 6 |
AspektG1 G2 G3 | Rezidiv-Score0 1 2 | Progressions-Score0 0 5 |
Aspekt | Rezidiv-Score | Progressions-Score |
Tabelle 3: Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv und für Progress des NMIBC nach dem Punkte-Score der EORTC Risikoklassifikation, mod. nach6
Faktor | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 1 Jahr | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 5 Jahren | Risikogruppe | ||
---|---|---|---|---|---|
Faktor | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 1 Jahr | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 5 Jahren | Risikogruppe | 95 % CI | |
Faktor | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 1 Jahr | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 5 Jahren | Risikogruppe | (24-37) | Niedriges Risiko |
Faktor | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 1 Jahr | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 5 Jahren | Risikogruppe | (42-49) | Intermediäres Risiko |
Faktor | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 1 Jahr | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 5 Jahren | Risikogruppe | (58-65) | Intermediäres Risiko |
Faktor | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 1 Jahr | Rezidiv-Wahrscheinlichkeit nach 5 Jahren | Risikogruppe | (73-84) | Hohes Risiko |
Tabelle 4: EORTC Risikoscoring für NMIBC, mod. nach6
Biomarker können anzeigen, welche Tumortreiber der Erkrankung zu Grunde liegen. Molekulare Subtypen könnten eine bessere Stratifizierung von Blasenkarzinom-Patient:innen ermöglichen.12
Abhängig von den untersuchten Markern kann immunhistochemisch (IHC, Immunhistochemie) an Gewebe oder mittels Blutproben getestet werden. Die gebräuchlisten Nachweismethoden sind PCR (polymerase chain reaction), traditionelle Sanger-Sequenzierung oder NGS (next generation sequencing).13, 14
Als möglicherweise relevante Mutationen werden für invasive Tumoren FGFR, CDKN2A, PPARG, ERBB2, E2F3, TP53 und RB1 diskutiert, wobei die FGFR-Mutationen zu den besonders gut untersuchten Mutationen gehören.12
Rund 1/3 der Urothelkarzinome weisen FGFR-Alterationen auf15.
Es werden vier FGFR-Gene unterschieden, die sich in ihrer Struktur ähneln (FGFR1-4)15:
FGFR ist eine zellmembrangebundene Rezeptor-Tyrosinkinase. Nach Aktivierung beeinflusst FGFR verschiedene intrazelluläre Signalkaskaden über PI3K(Phosphatidylinositol-3-Kinase)-AKT, PLCɣ (Phospholipase Cɣ), STAT (signal transducers and activators of transcription) und RAS-MAPK (mitogen-activated protein kinase) Signalwege. Diese Signalwegkaskaden regulieren zelluläre Funktionen wie Proliferation, Differenzierung und Angiogenese. Eine Überaktivierung der FGFR-Signalwege durch Genamplifikationen, aktivierende Mutationen oder Genfusionen kann daher die Tumorentstehung und das Fortschreiten des Tumors begünstigen.17
Die Wirkung von Checkpoint-Inhibitoren kann mit der PD-L1 Expression auf Tumorzellen und Immunzellen im Tumorareal korrelieren. Die Bestimmung der PD-L1-Expression erfolgt immunhistologisch mit unterschiedlichen Scoring-Systemen: Der TCS (Tumor Cells Score) bzw. TPS (Tumor Proportion Score) gibt das Verhältnis von PD-L1-positiv gefärbten Tumorzellen bezogen auf die Gesamtzahl der Tumorzellen wieder. Der CPS (Combined Positive Score) ist definiert als das Verhältnis von positiv gefärbten Tumor- und Immunzellen zur Gesamtzahl der Tumorzellen multipliziert mit 100. Der ICS (Immune Cells Score) gibt die Anzahl der positiv gefärbten Immunzellen im Tumorareal an.
Der TMB-Wert stellt die Gesamtzahl aller Mutationen in einer Tumorprobe dar und ist bislang kein anerkanntes Kriterium für die Zulassung. Die TMB ist jedoch ein weiterer prädiktiver immuntherapeutischer Biomarker. Die Bestimmung ist methodenabhängig und im Hinblick auf die Einfluss-nehmenden Faktoren schwierig.5,18
Muskelinvasive Blasenkarzinome werden nach molekularer Konsensus-Klassifikation in sechs Subtypen eingeteilt, die sich in den onkogenen Mechanismen, der Infiltration von Immun- und Stromazellen, den histologischen und klinischen Eigenschaften unterscheiden: 12,18
Luminal-papilläre MIBC weisen häufig Tumorzellen mit transkriptioneller FGFR3-Aktivität (Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor) und FGFR3-Alterationen (Mutationen, Fusionen oder Amplifikationen) auf. Die höchste Mutationslast und vermehrte ERBB2-Amplifikationen (erb-b2 receptor tyrosine kinase 2, HER2/neu) werden bei den luminal instabilen Karzinomen beobachtet. In Tumorzellen der basal/squamösen Karzinom-Gruppe finden sich häufig Veränderungen in den Genen TP53 (Tumorsuppressorgen) sowie RB1 (Retinoblastom-Protein) mit Überexpression von EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor).12,18
Die PD-L1-Expression und auch die Tumormutationslast (TMB) sind relevante Marker beim fortgeschrittenen und metastasierten Urothelkarzinom.5
Die Nachsorge von NMIBC-Patient:innen erfolgt nach Risikoscoring. Standard ist die zytoskopische Untersuchung zur Rezidiv- oder Progressionskontrolle. Weitere Untersuchungen abhängig von der Risikogruppen-Einteilung (niedrig, intermediär und hoch) sind die Urinzytologie, Urin-basierte Tumormarker, die Sonographie, das Ausscheidungs-Urogramm (AUG/IVU) oder das CT-Urogramm (CT-AUG) bzw. das MRT-Urogramm (MRT-AUG).
Das Nachsorgeschema von MIBC-Patient:innen hängt davon ab, ob eine radikale Zystektomie oder eine Radio-(Chemo-)Therapie als kurativ intendierte Therapie gewählt wurde. Untersucht werden Frührezidive, metabolische Veränderungen, funktionelle Störungen und der psychoonkologisch-soziale Status.2,6
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EM-120583