Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche, neurodegenerative Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS – Gehirn und Rückenmark). Sie betrifft weltweit etwa 2,5 Millionen Menschen und ist damit die häufigste demyelinisierende Erkrankung bei jungen Erwachsenen.1,2
Durch die Entzündung im Gehirn kommt es zu einer Zerstörung von Nervenfasern, wodurch das Gehirn nicht mehr ungestört mit dem Körper, insbesondere den Muskeln und den Sinnesorganen, kommunizieren kann. Dadurch kann es bei Multiple Sklerose sowohl zu Störungen der Motorik als auch der Sinneswahrnehmungen kommen. Typische Symptome sind beispielsweise Lähmungen und Sehstörungen. Da die Entzündungen an unterschiedlichen Stellen des ZNS auftreten und über das Gehirn und Rückenmark verstreut sein können, sind die Beschwerden aber von Patient zu Patient unterschiedlich.3,4
Die Ursachen der Multiplen Sklerose sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bekannt ist jedoch, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt. Das bedeutet, dass das körpereigene Immunsystem fehlgesteuert ist und sich gegen gesunde, körpereigene Strukturen richtet – im Falle der Multiplen Sklerose also gezielt gegen die Zellen des ZNS.5
Da es sich bei Multiple Sklerose um eine chronische Erkrankung handelt, konzentrieren sich die derzeitigen Therapien darauf, den Krankheitsverlauf zu modifizieren, indem sie die Krankheitsaktivität verringern und das Fortschreiten neurologischer Funktionseinschränkungen verlangsamen.6 Daneben sind auch symptomatische Behandlungsmöglichkeiten wichtig, um Patienten individuell dabei zu unterstützen, ihre persönlichen, sozialen und beruflichen Aufgaben zu erfüllen und ihre Lebensqualität zu verbessern.7
Schädigungen bei Multiple Sklerose können grundsätzlich jedes Areal im ZNS betreffen, es gibt jedoch einige bevorzugte Areale, die sogenannten Prädilektionsstellen, wie die periventrikuläre, kortikale bzw. juxtakortikale, infratentorielle und spinale Region.9
MS-Läsionen sind Kennzeichen in der MRT-Bildgebung. Der Grad der Entzündung lässt sich über die Menge von aufgenommenem Kontrastmittel (Gadolinium) ermitteln.2 MS-Läsionen werden durch Infiltration von Zellen des Immunsystems über die Blut-Hirn-Schranke verursacht, was Entzündungen, Demyelinisierung, Gliose und neuroaxonale Degeneration fördert und zu einer Störung der neuronalen Signalübertragung führt. Läsionen durch Multiple Sklerose zeigen Hinweise auf eindringende periphere Immunzellen.1
Die Entzündung ist in den akuten Stadien der MS stärker ausgeprägt, kann sich jedoch bis in die chronischen Stadien fortsetzen. Zu den peripheren Immunzellen, die MS-Läsionen infiltrieren, gehören Makrophagen, T-Zellen, B-Zellen und Plasmazellen. In späteren Stadien der Krankheit fördern diese Zellen des Immunsystems zusammen mit aktivierter Mikroglia und Astrozyten im ZNS die Atrophie der grauen und weißen Substanz.1
Remodeling† ist bei Multiple Sklerose in einem gewissen Umfang möglich. Ein Remodeling kann durch mehrere potenzielle Mechanismen im ZNS erfolgen und dessen Funktion teilweise wiederherstellen oder erhalten.2,10
†Wiederherstellung oder Neuordnung neuronaler Verbindungen.
‡Zelltyp, der Myelin im ZNS erzeugt.
Bei Multiple Sklerose sind neurologische Signalwege gestört.
§Spezialisiertes Ende eines Axons, das die Richtung des Wachstums bestimmt und lenkt.
Die funktionale Konnektivität in neuronalen Netzen kann durch Multiple Sklerose beeinträchtigt werden. Neuere Forschungen haben einen Netzwerkansatz gewählt, bei dem mithilfe funktionaler Konnektivität die Reaktion des Gehirns auf MS-bedingte Schädigungen untersucht wurde.
Es wird angenommen, dass MS-bedingte Schädigungen die Kommunikationsnetzwerke zwischen verschiedenen Gehirnregionen beeinflussen. Diese Änderungen in der Netzwerkkommunikation und -organisation können die funktionale Konnektivität bei Multiple Sklerose verändern.19
¶In einer 1-jährigen Longitudinalstudie zeigten Patienten mit früher RRMS, die die Kriterien für keinen Nachweis einer Krankheitsaktivität erfüllten (NEDA-3 = No evidence of disease activity; n = 56), und solche mit Nachweis einer Krankheitsaktivität (n = 36) eine Zunahme der lokalen kortikalen Verbindungen. Diese Veränderung wurde bei gesunden Kontrollen (n = 101) im gleichen Zeitraum nicht beobachtet.21
Eine veränderte funktionelle Konnektivität wurde mit Veränderungen der MS-Symptome in Verbindung gebracht. Kognitive und motorische Leistung sowie andere neurologische Funktionsstörungen (z. B. Fatigue, Sehstörungen, Depressionen und Schlafstörungen) sind häufig mit Änderungen der funktionellen Konnektivität oder der Netzwerkkohärenz verbunden.19
Bevor Multiple Sklerose diagnostiziert wird, können bei Patienten ein radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) oder ein klinisch isoliertes Syndrom (CIS) auftreten.2
Schübe sind durch neurologische Defizite gekennzeichnet, die mit Entzündungen und Demyelinisierung einhergehen und im MRT typischerweise als Läsionen der weißen Substanz erkennbar sind.2 Die Intensität der Schübe kann stark variieren, die anschließende neurologische Remission kann vollständig oder unvollständig sein. Multiple Sklerose Symptome können dabei ebenso von Patient zu Patient variieren.22
Die McDonald-Kriterien dienen sowohl in der MS-Forschung als auch in der klinischen Praxis als diagnostische Leitlinien. Im Jahr 2017 überprüfte und aktualisierte das internationale Gremium für die Multiple Sklerose Diagnose diese Leitlinien auf der Grundlage von klinischen, bildgebenden Verfahren sowie Laborerkenntnissen.9
Für die Diagnose der Multiple Sklerose gelten die sogenannten modifizierten McDonald-Kriterien. Diese beruhen auf dem Konzept der zeitlichen und örtlichen Dissemination. Hierbei bedeutet die zeitliche Dissemination, dass im Verlauf der Erkrankung neue Entzündungsherde nachweisbar sind. Die räumliche Dissemination beschreibt das Auftreten von MS-typischen Läsionen an mehr als einem Ort.23
Zusätzlich stützt sich die Diagnose der Multiple Sklerose auf den Ausschluss wichtiger Differenzialdiagnosen. Auch die Revision der McDonald-Diagnosekriterien im Jahr 2017 folgt diesen Prinzipien, berücksichtigt neue Daten zur MRT-Bildgebung und stärkt die Rolle der Liquordiagnostik bei der schubförmigen Verlaufsform. Wichtigstes Ziel ist eine möglichst frühzeitige zuverlässige Diagnosestellung, damit zeitnah mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie begonnen werden kann. Neu in der revidierten Diagnose ist, dass charakteristische Liquorbefunde für das Kriterium der zeitlichen Dissemination und kortikale MRT-Läsionen berücksichtigt werden. Zudem ist die Differenzierung zwischen asymptomatischen und symptomatischen MRT-Läsionen aufgehoben.24
Die Schubrate und die Messung der Beeinträchtigung, einschließlich des EDSS-Wertes (Expanded Disability Status Scale), sind typische primäre Endpunkte klinischer Studien für die Zulassung krankheitsmodifizierender Therapien zur Behandlung von Multiple Sklerose. Die Schubrate dient als Maß für die entzündliche Aktivität, während der EDSS-Wert den Schweregrad der Behinderung angibt. Diese beiden Parameter spiegeln unterschiedliche pathologische Prozesse wider, die bei Patienten mit Multiple Sklerose auftreten.25
Bei Therapieentscheidungen wird oft der Reduzierung von Schüben und Läsionen Priorität eingeräumt. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass für Patienten das Symptommanagement ein wichtiger Aspekt in ihrer Multiple Sklerose Therapie ist.7
Wie die Krankheit selbst sind auch die Symptome von Multiple Sklerose heterogen und unvorhersehbar.1
Die Multiple Sklerose Behandlung kann aufgrund der Variabilität der Symptome von Patient zu Patient verschieden und komplex sein. Darüber hinaus sind viele der Symptome „unsichtbar“, d.h. sie werden nicht als offenkundig beeinträchtigend von anderen Menschen wahrgenommen.26,27
Obwohl jeder Patient mit Multipler Sklerose seine Erkrankung auf unterschiedliche Weise erleben kann, sind einige der häufigsten Symptome im Verlauf der Multiplen Sklerose nachstehend in der Graphik dargestellt28:
Die Daten stammen aus dem Deutschen MS-Register, einem großen nationalen Register, das von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) 2001 initiiert wurde. Diese Datenbank sammelt Daten von MS-Patienten hinsichtlich der Krankheitsmerkmale, Behandlung und Nutzung der Gesundheitsversorgung und stellt diese zur Verfügung. Für die Auswertung der Prävalenz der Symptome wurden die Daten von 35.755 Patienten, die zwischen 2005 bis 2016 ermittelt wurden, herangezogen.28
Die "unsichtbaren" Multiple Sklerose Symptome (wie Fatigue, kognitive Beeinträchtigung, Schmerzen, Blasen- und Darmfunktionsstörungen, verschwommenes Sehen, sexuelle Probleme und sensorische Dysfunktionen) sind für das Wohlbefinden eines Patienten ebenso wichtig wie die "sichtbaren" Symptome.27,29
Aufgrund der für Außenstehende „Unsichtbarkeit der Symptome“ fühlen sich viele Betroffene von ihren Freunden, Familien, Kollegen und medizinischem Personal nicht ernst genommen oder sogar angezweifelt. Durch die Berücksichtigung dieser „unsichtbaren“ MS-Symptome kann verhindert werden, dass sie nicht übersehen, falsch eingeordnet oder unbehandelt bleiben.27
Ein Gesamtbild der Multiple Sklerose ergibt sich nur, wenn man alle Aspekte dieser Erkrankung mit einbezieht. Insbesondere die „unsichtbaren“ Symptome der Multiplen Sklerose Schmerz und Depression verursachen einen hohen Leidensdruck bei den Patienten und sollten bei ärztlichen Untersuchungen regelmäßig kontrolliert werden.26
Für bestimmte Symptome der Multiple Sklerose ist die Hauptursache bekannt.
Beispielsweise haben ca. 70 % aller Patienten mit Multiple Sklerose im Laufe des Lebens eine Sehnervenentzündung (Neuritis nervi optici).30
Die Pathophysiologie anderer vorherrschender Multiple Sklerose Symptome sind jedoch nach wie vor wenig bekannt und werden derzeit noch untersucht.31
Aktuelle Hypothesen zu den pathophysiologischen Mechanismen, die der primären Fatigue bei MS zugrunde liegen, sind beispielsweise32:
Multiple Sklerose-Symptome können auch als Folge anderer Symptome oder Faktoren im Zusammenhang mit der Erkrankung oder unerwünschter Nebenwirkungen der Behandlung auftreten.
Beispiele für solche sekundären Multiple Sklerose Symptome sind Harnwegsinfektionen aufgrund von Blasenfunktionsstörungen oder Müdigkeit aufgrund von Schlafmangel bedingt durch MS-Symptome wie Muskelkrämpfe oder Blasenprobleme.33,34
MS-Symptome können früh auftreten und die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen.
MS-Symptome können zu Erkrankungsbeginn auftreten und die körperliche Funktionsfähigkeit, das emotionale Wohlbefinden und die Lebensqualität beeinträchtigen. Mit dem Krankheitsprogress und einer Zunahme an Schädigungen im Gehirn können fortschreitende Funktionseinschränkungen eine schwere Belastung für die Patienten und ihre Familien darstellen.6
Schübe, das Fortschreiten der körperlichen Beeinträchtigung und die in der Magnetresonanztomographie (MRT) sichtbare Krankheitsaktivität spiegeln nur einen Teil der Auswirkungen wider, die MS auf das Leben der Patienten hat.37 MS-Symptome wurden mit negativen Auswirkungen auf Patienten in Verbindung gebracht, darunter35,36:
Einschränkungen bei intensiven körperlichen Aktivitäten
Einschränkungen bei beruflichen Tätigkeiten
Fatigue / Erschöpfung
Einschränkung in der Alltagskompetenz wie Arbeit, Haushalt, Kinderbetreuung und Freizeitaktivitäten
Emotionale und finanzielle Belastung
Es ist wichtig, dass Patienten, die mit Multiple Sklerose leben, informiert sind und Zugang zu Bildungsprogrammen und multidisziplinären Teams haben. Dies kann ihnen dabei helfen die Komplexität der MS-Symptome zu bewältigen und sich an ihr Leben mit MS anzupassen.7
Warum lohnt es sich, Multiple Sklerose Patienten auf ihre Symptome anzusprechen?
Obwohl die Symptome der MS komplex sind und ihre Pathophysiologie nicht vollständig verstanden wird, sind ihre Auswirkungen auf die Patienten klar:
Zuletzt geändert am: 16.05.2022
Dieser Text entspricht den redaktionellen Standards der Janssen Medical Cloud. Hier erfahren Sie mehr über unsere redaktionellen Standards.
Dieser Text wurde von Dr. med. Sebastian Möller, Mitarbeiter bei Janssen Deutschland und Mitglied des Janssen Expertenbeirats, geprüft. Lernen Sie unseren Expertenbeirat kennen.